Sexual and Reproductive Health

Erscheinungsjahr (Stand): 2023

Federführende Fachgesellschaft(en):
European Association of Urology (EAU)

Weitere beteiligte Fachgesellschaften und Organisationen: 0

Bewertung durch leitlinienwatch.de

25.03.24


Pkt.

Bewertungskriterium

0

Transparenz

Es handelt sich um eine europäische Leitlinie außerhalb des deutschen AWMF-Registers (https://uroweb.org/guidelines/sexual-and-reproductive-health). Im 312-seitigen Leitliniendokument nimmt der Abschnitt zu Interessenkonflikten (S. 311) sieben Zeilen ein und verweist (ebenso wie ein Satz in der Einleitung) auf eine Webseite, auf der sich keine Angaben zum Thema finden. Einzig in der Online-Variante der Leitlinie sind unter „Panel“ für vier der 20 Leitlinienautor*innen Interessenkonflikte aufgeführt, wovon zwei jedoch „other – please indicate“ lauten. Für die restlichen 16 inklusive der beiden Leitlinien-Koordinatoren finden sich gar keine Angaben zu Interessenkonflikten.

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Zusammensetzung der Leitlinien-Gruppe

Der Anteil der Leitlinienautor*innen mit Interessenkonflikten ist nicht beurteilbar, da keine detaillierten Interessenkonflikterklärungen vorliegen. Bei den meisten Autor*innen bleibt unklar, ob überhaupt eine Erklärung zu Interessenkonflikten abgegeben wurde und was deren Inhalt war.

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Unabhängigkeit der Vorsitzenden/federführenden AutorenUnabhängigkeit der Vorsitzenden/federführenden Autoren

Auch bei den Leitlinien-Koordinatoren liegt keine Interessenkonflikterklärung vor. Einer der Koordinatoren publizierte erst kürzlich einen Meinungsartikel, in dem er darlegt, welche Vorteile sich seiner Meinung nach aus finanzieller Unterstützung durch die pharmazeutische Industrie ergeben:
„In fact, the financial support of pharma has been paramount to the execution of research studies and the public presentation of results in the contexts of dedicated experts. [...] All of this has been thanks to the sponsorship of pharma, who have been able to promote their belief and support in the development of a healthy and correct scientific culture while supporting their own business objectives.“ (Salonia A, Capogrosso P. Publishing industry-sponsored studies. The Journal of Sexual Medicine. 2023;20(4):422-425. doi:10.1093/jsxmed/qdad003).

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Enthaltung bei Abstimmungen

Die auf der Website der European Association of Urology verfügbare Leitlinien-übergreifende „EAU Guidelines Conflict of Interest Policy“ beschreibt eine Enthaltungsregel für „high-risk COI“. Auf diese Policy, die nicht Bestandteil der Leitlinie ist, wird nirgends im Leitliniendokument Bezug genommen. Ob sie angewandt wurde, bleibt unklar. Bei den einzigen beiden konkret angegebenen Interessenkonflikten handelt es sich nach Einstufung gemäß der o.g. Policy um „high-risk COI“ (hier: Aktienbesitz, Beratertätigkeit). Ob diese eine Konsequenz hatten, ist nicht ersichtlich, obwohl Angaben zum Interessenkonflikt-Management laut Policy publiziert werden sollten: „This information is to be made available annually online upon publication of the final Guidelines documents (as part of the supporting documents).“ (S. 5, Punkt 6)

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Externe Beratung der Leitlinie

Nach Angaben im Methodenteil der Leitlinie (S. 13, Punkt 2.2) wurde die Ursprungsleitlinie vor ihrer Veröffentlichung „peer reviewed“, die Überarbeitungen in den Folgejahren inklusive der aktuellen „reviewed“. Im allgemeinen „EAU Guidelines Office Development Handbook“ wird eine Begutachtung durch eingeladene „international expert reviewers“ sowie einen Patientenvertreter „where applicable“ beschrieben. Wie die Begutachtung bei dieser konkreten Leitlinie erfolgte und inwiefern das Ergebnis des Reviews Einfluss auf die endgültige Leitlinienversion hatte, ist nicht nachvollziehbar. Eine öffentliche Begutachtung scheint weder vorgesehen noch erfolgt zu sein.

1

Bonuspunkte für weitere Maßnahmen zur Reduzierung von Interessenkonflikten

Die Leitlinienmethodik wird nur knapp beschrieben (S. 12/13). Wir vergeben einen Bonuspunkt für die an GRADE angelehnte Evidenzbewertung.
In mehreren grundlegenden Handbüchern gibt die European Association of Urology Handlungsempfehlungen für die an der Leitlinienentwicklung Beteiligten ab, so auch zum Umgang mit Interessenkonflikten oder zur Einbindung von Patientenvertreter*innen. Leider ist nicht nachvollziehbar, ob und wie weit diese in der tatsächlichen Leitlinienerstellung Anwendung fanden.


Erläuterungen zu den Bewertungskriterien

Gesamtpunktzahl

1

Gut! (11-18)

Achtung! (6-10)

Reformbedarf! (0-5)

Kommentar

Die umfangreiche Leitlinie der „European Association of Urology“ zu „Sexual and Reproductive Health“ ist auch in Deutschland alternativlos, eine thematisch vergleichbare AWMF-Leitlinie existiert nicht. Leider spiegeln sich Leitlinienumfang und scheinbarer Professionalisierungsgrad der EAU nicht im Umgang mit Interessenkonflikten wieder. Eine Dokumentation dazu in Bezug auf die konkrete Leitlinie fehlt fast vollständig.

Allgemeine Handlungsempfehlungen der EAU (Guidelines Conflict of Interest Policy, https://uroweb.org/eau-guidelines/methodology-policies) beginnen ambitioniert: „[...] the EAU GO [Guidelines Office] aim to establish Guidelines Panels involving members that ideally have no or only very limited COI“.
Leider wird dieses Ziel sofort wieder relativiert:
- „it is recognised that as opinion leaders in their fields, Panel members will likely have conflicts“
- „once clinicians are involved in Guidelines development they may be more likely sought out for speaking engagements and positions on advisory boards“
- „the GO recognises that COIs are ubiquitous“

Untermauern möchte die EAU diese Thesen durch ein sinnentstellendes Zitat aus einem Editorial des ehemaligen BMJ-Herausgebers Richard Smith von 1994: „The only person who does not have some vested interest in a subject is somebody who knows nothing about it.“ (S. 1 „EAU Guidelines Conflict of Interest Policy“, zitiert aus aus: Smith R. Conflict of interest and the BMJ. BMJ. 1994;308(6920):4-5. doi:10.1136/bmj.308.6920.4). In der Veröffentlichung spricht sich Smith jedoch für eine striktere Offenlegung und Vermeidung von Interessenkonflikten aus.

Industriefinanzierte Vortrags- und Beratertätigkeit sind kein unausweichliches Schicksal und Best-Practice-Guidelines zum Umgang mit Interessenkonflikten empfehlen Leitlinienautor*innen schon lange, bestehende finanzielle Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie zu lösen (Institute of Medicine: „Clinical practice guidelines we can trust“ (2012)).

Ein erster Schritt zur Verbesserung des Umgangs mit Interessenkonflikten in der vorliegenden Leitlinie kann die konsequente und nachvollziehbare Anwendung der schon bestehenden EAU-eigenen „Conflict of Interest Policy“ sein. Mittel- bis langfristig empfiehlt es sich, Leitlinienautor*innen zur Aufgabe von bestehenden finanziellen Industrieverbindungen zu motivieren und Autor*innen ohne solche zu fördern.

Das zitierte BMJ-Editorial zu Interessenkonflikten schließt mit einer Einschätzung der Herausgeber des New England Journal of Medicine: „most academic institutions and journals have not gone far enough in dealing with this problem“ - eine Einschätzung, die in Bezug auf die EAU-Leitlinie „Sexual and Reproductive Health" auch 30 Jahre nach Veröffentlichung des Editorials nicht an Gültigkeit verloren hat.

Hinweis: Die Bewertung wurde sorgfältig auf der Grundlage der publizierten Leitlinie vorgenommen. Wenn Sie einen Fehler bemerken, können Sie uns unter info@leitlinienwatch.de kontaktieren.