Klinische Ernährung bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen

Erscheinungsjahr (Stand): 2024

Klassifikation: s3

Registernummer: 073-027

Federführende Fachgesellschaft(en):
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V.

Weitere beteiligte Fachgesellschaften und Organisationen: 6

Bewertung durch leitlinienwatch.de

01.08.25


Pkt.

Bewertungskriterium

3

Transparenz

Die Interessenkonflikte werden anders als in der Vorgängerversion der Leitlinie mit Nennung der Firmennamen in einem separaten Dokument angegeben (https://register.awmf.org/assets/guidelines/073_D_Ges_fuer_Ernaehrungsmedizin/073-027i_S3_Klinische-Ernaehrung-bei-chronisch-entzuendlichen-Darmerkrankungen_2024-12.pdf). Am rechten Rand findet sich die durch ein separates Gremium durchgeführte Einstufung der IK mit den vorgeschlagenen Konsequenzen im Hinblick auf Enthaltungen bei Abstimmungen. Damit formal 3 Punkte nach unserem Bewertungssystem. Es ergeben sich jedoch Zweifel, ob diese Bewertung auch sachgerecht ist. Beispielsweise werden Beratertätigkeiten für die Firma Nestle nicht immer als IK gewertet mit dem Argument "Kein Bezug zur Leitlinie". Dies kann zweierlei bedeuten: 1. Die Firma Nestle hat keine kommerziellen Interessen am Leitlinienthema, was aber nicht zutrifft, da Nestle Nahrungsprodukte für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen herstellt (https://germany.nestlenutrition-institute.org/im-fokus/darmerkrankungen/chronisch-entzuendliche-darmerkrankungen-ced). 2. Der Leitlinienautor hat in einem Kontext mit der Firma Nestle zusammengearbeitet, der nichts mit den Themen der Leitlinie zu tun hat. Das wäre eine grobe Fehleinschätzung der Natur von Interessenkonflikten. Der IK entsteht, wenn Geld von interessierter Seite angenommen wird, egal wofür. Deshalb musste beispielsweise Helmut Kohl von seinen politischen Ämtern zurücktreten. Auch ein Richter im VW-Abgas-Betrugsverfahren wäre mit jedweder Beziehung zum VW-Konzern als befangen abgelehnt worden. Warum fällt es so schwer, diese für die Öffentlichkeit so selbstverständlichen Befangenheits-Normen in der Medizin zu etablieren?

0

Zusammensetzung der Leitlinien-Gruppe

15 von 18 Beteiligten geben Firmenverbindungen an, davon mindestens 8 mit Firmen, die Ernährungsprodukte für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen herstellen (Nestle, Fresenius, Nutricia, Symbiopharm). Die letztgenannte Firma stellt Probiotika her, die in der Leitlinie wohlmeinend kommentiert werden: "Darüber hinaus kann durch gezielte Diäten (z. B. ballaststoffreiche Ernährung) bzw. Supplemente (z. B. Probiotika, Präbiotika) bzw. Medikamenten (z. B. Antibiotika) eine gesundheitsfördernde Modulation der Darmmikrobiota angestrebt werden. Die Evidenz für den Einsatz von Probiotika, Präbiotika, Antibiotika und fäkaler Mikrobiomtransfer wurde in den DGVS-Leitlinien zur Therapie des MC von 2021 [93] bzw. der CU von 2023 [92] ausführlich eruiert. Deshalb verweisen wir zu dieser Thematik auf die Empfehlungen dieser S3-Leitlinien." (Langfassung der LL, S. 54). Diese beiden S3-Leitlinien betonen jedoch, dass es keinerlei Evidenz für den Einsatz von Probiotika bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gibt. Diese Diskrepanz wird für den Leser nur deutlich, wenn er die zitierten Leitlinien selbst überprüft, was nur selten passieren dürfte. So bleibt es bei einer evidenzfreien lauwarmen Empfehlung von Probiotika mit einem nachgeschobenen, undurchsichtigen Disclaimer. Allein der sich aufdrängende Verdacht, dass dabei die finanziellen Verbindungen einiger Autoren zum Hersteller eine Rolle gespielt haben könnten, schadet der Glaubwürdigkeit der Leitlinie.

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Unabhängigkeit der Vorsitzenden/federführenden AutorenUnabhängigkeit der Vorsitzenden/federführenden Autoren

Der Leitlinienkoordinator gibt mehrere Firmenverbindungen an, darunter zu den an der Leitlinie interessierten Firmen Nestle und Symbiopharm.

2

Enthaltung bei Abstimmungen

Laut Leitlinienreport führten IK bei 4 Beteiligten zu Enthaltungen, diese werden in transparenter Weise namentlich genannt, ebenso die Empfehlungen, bei denen sie sich enthielten. Da aber mehr als diese 4 Beteiligten finanzielle Beziehungen zu Herstellern der in dieser Leitlinie bewerteten Produkte angaben, ist die vollständige Enthaltung der Beteiligten mit IK nicht gewährleistet. Zudem werden nach gültigen AWMF-Regeln Vortragshonorare lediglich als "geringe IK" gewertet, die nicht zu Enthaltungen führen. Diese AWMF-Regel ist eher eine Verlegenheitslösung als sachgerechtes IK-Management, da andernfalls wahrscheinlich ganze Leitliniengruppen nicht mehr abstimmungsfähig wären. Vortragshonorare können nicht pauschal als irrelevant abgetan werden, da ärztliche Influencer (expliziter auch "Mietmäuler" genannt) mit einer regelmäßigen Vortragstätigkeit für eine Firma durchaus fünfstellige Nebeneinnahmen erzielen können.

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Externe Beratung der Leitlinie

Eine Kommentierung des Leitlinienentwurfs über eine öffentliche Website war nicht möglich.

3

Bonuspunkte für weitere Maßnahmen zur Reduzierung von Interessenkonflikten

- Systematische Recherche und Bewertung der Literatur sowie Verwendung von hochwertigen Quellleitlinien.
- Breite Zusammensetzung der Leitliniengruppe mit Beteiligung mehrerer Fachgesellschaften, einer Patientenvertreterin und einer Ernährungsfachkraft
- Hoher Konsens bei fast allen Empfehlungen


Erläuterungen zu den Bewertungskriterien

Gesamtpunktzahl

8

Gut! (11-18)

Achtung! (6-10)

Reformbedarf! (0-5)

Kommentar

Gegenüber der Vorgängerversion (5 Punkte bei LLW) hat sich einiges verbessert: die Transparenz mit Nennung der Firmennamen und die Einführung einer Enthaltungsregel. Das große Manko ist jedoch das Weg-Erklären tatsächlicher Interessenkonflikte, die dann ohne Konsequenzen für das Abstimmungsverhalten bleiben (s.o.). Ärzte und Patienten erwarten unabhängige Leitlinienautoren. Die deutsche Bundesregierung hat vor über 20 Jahren die Erstellung von medizinischen Leitlinien an die medizinischen Fachgesellschaften in der AWMF delegiert, die damit eine hoheitliche Aufgabe wahrnehmen. Daher müssen für Leitlinienautoren auch dieselben Maßstäbe gelten, die im öffentlichen Dienst für die Unabhängigkeit von finanzieller Einflussnahme bestehen. Dort ist jedwede Annahme von Vorteilen von dritter Seite untersagt, da sie sich nicht mit der gebotenen Neutralität verträgt und das öffentliche Vertrauen untergräbt.

Hinweis: Die Bewertung wurde sorgfältig auf der Grundlage der publizierten Leitlinie vorgenommen. Wenn Sie einen Fehler bemerken, können Sie uns unter info@leitlinienwatch.de kontaktieren.