Nationale Versorgungsleitlinien in Gefahr

(20.09.2024)

Wie kürzlich bekannt wurde, soll das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) zum Ende des Jahres 2024 seine Arbeit einstellen. Das ÄZQ spielte bisher eine wesentliche Rolle für die Durchführung und Koordination der Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL), deren Erhalt damit in Frage steht. NVL sind qualitativ hochwertige Leitlinien zu Volkskrankheiten mit unmittelbarer Auswirkung auf Disease-Management-Programme für die medizinische Versorgung der Bevölkerung.

Das NVL-Programm war bisher eine gemeinsame Initiative von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Die NVL erzielten regelmäßig höchste Bewertungsergebnisse durch LeitlinienWatch im Hinblick auf den Umgang mit Interessenkonflikten. Die AWMF will ihrerseits die NVL unbedingt erhalten und hat diesbezüglich ein Konzeptpapier erstellt.

LeitlinienWatch unterstützt das vorgelegte Konzept der AWMF grundsätzlich. Ergänzend sollte zukünftig verstärkt darauf geachtet werden, dass die Unabhängigkeit wirklich ALLER Beteiligten gesichert sein muss. Insbesondere im Fall der Patientenvertreter*innen wird bisher zu wenig beachtet, dass viele Patientenorganisationen durch z.T. erhebliche finanzielle Zuwendungen der Pharmaindustrie unterstützt werden (s.u.a. Süddeutsche Zeitung Nr. 214, S. 12, 16.9.24). In einigen Fällen wurden solche Organisationen sogar von der Pharmaindustrie gegründet.

Auch die Definition von Interessenkonflikten sollte grundsätzlich neu überdacht werden. Wissenschaftliche Literatur aus der Soziologie und Psychologie weist darauf hin, dass eine Abstufung in „geringe“, „moderate“ und „hohe“ Interessenkonflikte nicht sinnvoll ist. Stattdessen sollte nur eine dichotome Unterscheidung in „ja/nein“ vorgenommen werden. Die alleinige Offenlegung von Interessenkonflikten genügt nicht. Personen mit Interessenkonflikten sollten nicht in Leitliniengremien eingeladen werden.

Zu den detaillierten Vorschlägen der AWMF merken wir an, dass die Beteiligung von Vertreter*innen von derzeit 183 medizinischen Fachgesellschaften im Lenkungsausschuss unrealistisch erscheint. Insbesondere die Überprüfung der Unabhängigkeit dieser bis zu 183 Personen dürfte einen sehr hohen Aufwand erfordern. Auch die Anzahl der vertretenen Patientenorganisationen sollte auf ein realistisches Maß reduziert werden.